Geo-Philosophie

Der Westen und Russland:
ihr gefährlich gegensätzliches Verständnis von Geschichte

Mit Russlands Angriff auf die Ukraine seit dem Frühjahr 2022 ist die Plage des Krieges zurück in Europa. Das hat viele Gründe, dazu gehören auch Fehleinschätzungen und Versäumnisse des Westens gegenüber Putins Russland. Und es hat Hintergründe, die nicht in Jahren, sondern in Jahrhunderten entstanden sind. Sie liefern einen Schlüssel zum tieferen Verständnis des aktuellen Geschehens und betreffen hauptsächlich die geschichtsphilosophische Vorstellung vom Status der Gegenwart. Wird sie strukturkonservativ über Herkunft und damit über eherne Verbindlichkeiten definiert? Oder gilt sie aus dem Ethos der Selbstbestimmung heraus als Startbahn in eine offene Zukunft? Das sind Fragen, an denen sich die Geister in ‚Ost’ und ‚West’ noch lange scheiden könnten. Inwiefern? Weshalb? Und: Muss das so bleiben?

Eine Philosophie des Westens

Vom kulturellen Begriff des Westens gibt es keine eindeutige Definition. Das ist ein Zeichen seiner Stärke. Er lässt sich nicht eingrenzen, weder geographisch noch ideell. Er war und ist nicht deckungsgleich mit territorialen Gebilden wie Europa oder den USA. Und er ist nicht identisch mit dem Begriff des ‚Abendlands’. Ihn charakterisiert die Fähigkeit, in Krisen immer wieder über sich selbst hinauszugreifen und damit an sich selbst zu wachsen.
Griechische Philosophie, römisches Recht, christliche Religion gehören zu seinen Ursprüngen. Renaissance, Humanismus, Reformation, Aufklärung sind wesentliche Impulse seiner Entfaltung. Imperialismus und Kolonialismus zählen zu seinen dunklen Aspekten. In ökonomischer Perspektive vibriert er seit rund zwei Jahrhunderten in der Spannung zwischen freier Marktwirtschaft und sozialstaatlichen Modellen. In Werten wie der Deklaration allgemeiner Menschenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Individualismus, Toleranz, Schutz von Minderheiten zeigt er seine fortschrittlichsten Züge.
Wie könnte eine philosophische Landkarte des Westens aussehen – eine, die Entwicklungslinien, Bruchkanten und die Wege ins Offene bezeichnet?

Menschenwürde

Ein deutungsbedürftiges Hauptwort der Moderne

Aus dem Selbstverständnis der Moderne ist der Begriff der Würde nicht wegzudenken. Unser Grundgesetz sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Juristische Bestimmung und gesellschaftliche Praxis kommen aber nicht überein. Tägliche Verletzungen der Würde – z.B. wenn Menschen diskriminiert, verfolgt, misshandelt werden – zeigen es. Zudem ist der Begriff auf das eigene Handeln zu beziehen: Wie gehe ich mit mir selbst um, wie mit Anderen? Wie lasse ich mich durch Andere behandeln? Wie weiter, wenn ein Mensch seine Würde verliert? Kann er sie zurückerhalten? Solche Fragen im Spannungsfeld von Würde als Wesensmerkmal und als Gestaltungsauftrag sind zu erörtern: um den heutigen Sinn des Begriffs der Würde zu klären.

Der freie Geist der Utopie

Vom philosophischen Sinn eines neuen ‚Denkens nach vorwärts’

Der Zeitgeist wirkt utopienfeindlich, in weiten Teilen des Westens und darüber hinaus. Es ist der auf Herkunft bezogene und darin gegenläufige Begriff ‚Heimat’, der gerade in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas eine politische Aufwertung erfährt. Und in den USA wie in Großbritannien, in Russland wie in der Türkei: der nationale Blick wendet sich zurück, auf der Suche nach früherer Größe. ‚Utopie’ ist ein vorwärts weisender Begriff. Er bezeichnet einen gesellschaftlich besseren Ort, den es noch nie gab, der aber geschaffen werden könnte. Das Problem mit Utopien seit ihren philosophischen Anfängen bei Plato: Sie begründen meist Staatswesen mit totalitären Zügen. Wäre damit ‚utopisches Denken’ keine Alternative zum Zeitgeist? Doch. Folgt man der Logik des Begriffes, kann sich der ‚freie Geist der Utopie’ zeigen.

Unsere postfaktische Postmoderne, oder:

Leben wir in einer manipulativen Epoche von ‚alternativen Fakten’ und ‚Fake News’?

Was ist wirklich? Und was wirkt nur so? Diese Frage beschäftigt die Philosophie seit ihren Anfängen. Die Antworten sind im Laufe der Zeit unterschiedlich ausgefallen. Sie haben aber auf jeden Fall nicht nur erkenntnistheoretische, sondern auch gesellschaftspolitische Relevanz. Das zeigt sich aktuell in Diskussionen darüber, ob wir inzwischen in einer Epoche des ‚Postfaktischen’ leben, in der gefühlte Realität für maßgeblicher gehalten wird als wissenschaftlich ermittelte Daten. Auch ‚alternative Fakten’ und ‚Fake News’ haben in den gegenwärtigen politischen Debatten als Kampfbegriffe Konjunktur.
Philosophisch ist gegenüber dem Begriff des ‚Postfaktischen’ Skepsis angebracht. Er suggeriert, dass es eine Epoche gegeben habe, in der wissenschaftliches Denken objektive Ergebnisse gezeitigt hat und politische Entscheidungen rational, auf Basis eindeutiger Fakten, getroffen wurden. Es gibt gute Gründe, diese Annahmen selbst für ‚Fake News’ zu halten. Welche Gründe sind dies? Und wie lässt sich der heutige philosophische Begriff von ‚Wirklichkeit’ charakterisieren?

 

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